„Ohne Staat herrscht Anarchie – und das bedeutet Chaos.“
Dieser Satz ist so tief in unsere Köpfe eingebrannt, dass er kaum noch hinterfragt wird. Doch er ist nichts anderes als ein Trugschluss.
Denn Anarchie bedeutet nicht Chaos. Anarchie bedeutet Herrschaftslosigkeit. Und Herrschaftslosigkeit heißt nicht, dass Menschen ohne Regeln, ohne Recht und ohne Ordnung leben würden. Im Gegenteil: Wo keine Zwangsgewalt von oben herrscht, dort müssen Regeln von unten wachsen – freiwillig, kooperativ, im Miteinander.
Staats-Ordnung in der Praxis: das tägliche Chaos
Wer glaubt, der Staat schaffe Ordnung, muss nur einmal genau hinsehen.
Bürokratie-Dschungel: Kein Landwirt versteht mehr, wie die Subventionen funktionieren. Wer Acker stilllegt, wird belohnt, wer Zwischenfrüchte sät, manchmal auch – manchmal aber nicht. Fördergelder ändern sich jedes Jahr, widersprechen einander und erzeugen mehr Papier als Pflanzen. Das Ergebnis? Bauern verschwenden Zeit und Geld, nur um den „richtigen“ Antrag zu stellen.
Großprojekte: Ob BER-Flughafen, Stuttgart 21 oder Elbphilharmonie – staatliche Bauprojekte werden nie pünktlich fertig und kosten am Ende ein Vielfaches. Jeder weiß es, niemand ist verantwortlich. Die Rechnung zahlen die Steuerzahler.
Ämterwirrwarr: Das eine Amt genehmigt, was das andere wieder verbietet. Bürger und Unternehmer werden von Schreibtisch zu Schreibtisch geschickt, bis sie entnervt aufgeben. Effizienz? Fehlanzeige.
Das ist kein Unfall. Das ist das Wesen des Staates: Unübersichtlichkeit, Ineffizienz, Chaos – auf Kosten derer, die eigentlich Ordnung erwarten.
Historisches Chaos: Massenmord im Namen des Staates
Noch drastischer zeigt sich das Muster in der Geschichte:
Stalin, Hitler, Mao, Pol Pot, Pinochet – sie alle wären ohne Staatsapparat nicht möglich gewesen. Sie brauchten Polizei, Bürokratie, Armeen, Steuereintreiber, Geheimdienste. Der Staat war ihr Machtinstrument. Und dieses Instrument hat hunderte Millionen Menschen das Leben gekostet.
Wer also sagt: „Ohne Staat herrscht Chaos“, sollte sich ehrlich fragen: Woher kam das größte Chaos der Geschichte?
Kritik am Anarchokapitalismus: „Das Recht des Stärkeren“
Kritiker wenden ein: In einer anarchokapitalistischen Gesellschaft würde das Recht des Stärkeren herrschen. Wer mehr Geld hat, könnte sich mehr Sicherheit, mehr Einfluss, mehr Recht kaufen.
Rothbards Antwort darauf ist klar:
Heute herrscht das Recht des Stärkeren schon – aber verstaatlicht. Reiche Konzerne kaufen sich Lobbyisten, Gesetze und Subventionen. Sie sichern ihre Privilegien nicht durch Marktleistung, sondern durch staatliche Gewalt. Ohne Staat wäre genau dieser Missbrauch unmöglich.
Marktgleichgewicht: In einem freien Markt konkurrieren Sicherheitsfirmen, Gerichte und Versicherungen. Wer nur die Reichen schützt, verliert die breite Masse als Kunden. Wettbewerb zwingt Anbieter, für alle zugänglich und bezahlbar zu bleiben – so wie heute fast jeder eine Haftpflichtversicherung bezahlen kann.
Geschichtliche Belege: Recht und Ordnung wurden in vielen Gesellschaften ohne Staat organisiert – etwa im mittelalterlichen Irland oder in Handelsstädten mit privaten Schiedsgerichten. Das funktionierte stabil und effizienter als staatliche Bürokratie.
Das Argument „Recht des Stärkeren“ beschreibt also weit mehr den Staat als den Markt.
Der Gegenentwurf: Ordnung ohne Staat
Murray Rothbard, einer der großen Vordenker des Anarchokapitalismus, beschreibt es so: Ordnung entsteht nicht durch Zwang von oben, sondern durch freiwillige Verträge von unten.
Recht: Private Schiedsgerichte konkurrieren miteinander. Wer fair und effizient urteilt, gewinnt Vertrauen – wer korrupt ist, verschwindet.
Sicherheit: Schutzfirmen und Versicherungen bieten Sicherheit als Dienstleistung. Der Kunde wählt, wem er vertraut. Gewaltmonopole lösen sich auf, weil niemand gezwungen ist, einem Anbieter ausgeliefert zu sein.
Infrastruktur: Straßen, Strom, Wasser – alles kann besser, günstiger und innovativer organisiert werden, wenn es nicht durch Steuergeld und Planwirtschaft, sondern durch echte Nachfrage finanziert wird.
Statt anonymer Staatsbürokratie gäbe es Verantwortlichkeit. Statt Willkür gäbe es Wettbewerb. Statt Chaos gäbe es geordnete Freiheit.
Guérots Republik – und warum sie nur ein Rebranding ist
Auch staatskritische Denker wie Ulrike Guérot sehen die Probleme. Sie schlägt eine europäische Republik vor – eine politische Ordnung, die die Bürger stärker beteiligt und den Nationalstaat überwindet. Mehr Demokratie, mehr Gerechtigkeit, mehr Mitspracherecht.
Doch trotz aller Reformideen bleibt es ein Staat: Gewaltmonopol, Bürokratie, zentrale Institutionen. Nur eben mit neuem Namen und in neuer Verpackung.
Guérot sagt: Wir brauchen einen besseren Staat.
Rothbard sagt: Jeder Staat bleibt Gewalt, Zwang und Chaos. Der beste Staat ist keiner.
Beide erkennen die Krise. Doch während Guérot hofft, die Regeln des alten Spiels zu verbessern, will Rothbard das Spiel beenden.
Fazit: Der Denkfehler
Es ist höchste Zeit, mit dem größten Missverständnis aufzuräumen:
Nicht die Abwesenheit des Staates bringt Chaos – sondern seine Existenz.
Anarchie heißt nicht Unordnung. Anarchie heißt: Keine Herrschaft, keine privilegierte Kaste, kein Zwangsmonopol.
Die wahren Regeln entstehen dort, wo Menschen frei sind, sie selbst zu gestalten.