Warum das eigentliche Problem nicht eine Partei ist – sondern Politik selbst
Faschismus ist kein historisches Kostüm.
Er ist ein Machtmodus.
Wer ihn nur erkennt, wenn Uniformen getragen werden, Fahnen wehen und Gegner bereits verschwunden sind, erkennt ihn zu spät. Historisch beginnt Faschismus selten mit Gewalt – sondern mit Gewissheit. Mit einem „Wir“, das sich moralisch im Recht fühlt. Mit der Überzeugung, dass bestimmte Dinge „nun einmal nötig“ seien.
Und mit einer Gesellschaft, die beginnt, Ausschluss, Zwang und Sprachkontrolle als Normalität zu akzeptieren.t
1. Das „Wir“ – wenn Gemeinschaft zur Waffe wird
Am Anfang steht fast immer ein Kollektiv. Ein „Wir“.
Nicht als offene Gemeinschaft, sondern als normatives Gebilde: Wir stehen auf der richtigen Seite. Wir haben verstanden. Wir sind verantwortlich.
Ein solches „Wir“ klingt warm – wirkt aber kalt. Denn es erzeugt automatisch ein „die anderen“. Und dieses Außen ist nicht einfach anders, sondern problematisch.
Begriffe wie „unsere Demokratie“ sind dafür exemplarisch. Sie klingen inklusiv, funktionieren aber oft exklusiv. Wer nicht mitmacht, gehört plötzlich nicht mehr selbstverständlich dazu, sondern muss sich rechtfertigen.
2. Der Andere – Konstruktion eines Feindbilds
Ein starkes „Wir“ braucht ein „Die“.
Nicht zwingend einen realen Feind – es reicht ein erzählerischer.
So entstehen Sammelbegriffe, die Menschen nicht beschreiben, sondern zusammenfalten: „Rechte“, „Schwurbler“, „Demokratiefeinde“, „Putin-Trolle“. In ihnen verschwinden Motive, Biografien, Zweifel, Erfahrungen. Zurück bleibt ein Schattenriss.
Ab diesem Moment wird nicht mehr zugehört – nur noch einsortiert.
3. Entmenschlichung – wenn Moral Argumente ersetzt
Der nächste Schritt ist entscheidend:
Der Andere ist nicht mehr nur im Irrtum. Er ist moralisch minderwertig, irrational, gefährlich, unsolidarisch.
Sprache wie „Blinddarm der Gesellschaft“ oder „asozial“ ist kein Ausrutscher. Sie ist ein Signal: Empathie ist nicht mehr nötig. Härte wird legitim. Ausschluss wird zur Tugend.
Wer so markiert ist, verliert zuerst seine Stimme – und dann seine Rechte.
4. Ausschluss aus dem Diskurs – Demokratie ohne Streit
Wenn jemand moralisch delegitimiert ist, muss man nicht mehr mit ihm reden.
Diskurs wird ersetzt durch Kontaktverweigerung, Ausladung, Brandmauern.
Das fühlt sich für viele wie „Haltung“ an.
Strukturell ist es etwas anderes: Reinheitskultur statt Streitkultur.
Doch eine Demokratie, die nicht mehr streiten kann, ist keine mehr. Sie wird zur Verwaltung des Erlaubten.
5. Gewalt – und warum strukturelle Gewalt die gefährlichste ist
Gewalt ist nicht nur der Schlagstock.
Gewalt ist auch die systematische Erzeugung von Ohnmacht.
Neben physischer und psychischer Gewalt gibt es strukturelle Gewalt: Regeln, Maßnahmen und Ausschlüsse, die Menschen real schädigen – während sie offiziell als notwendig, vernünftig oder alternativlos gelten.
Die Corona-Jahre waren hierfür ein Lehrbuch:
Lockdowns als Freiheitsentzug ohne individuelle Abwägung
Schulschließungen mit massiven sozialen und psychischen Folgen für Kinder
3G/2G als gesellschaftlicher Ausschluss über Gesundheitsstatus
gezielte Stigmatisierung als Mittel des Drucks
Das Traumatisierende daran war oft nicht der Verzicht, sondern das Gefühl: Ich bin ausgeliefert. Ich habe keine Wahl. Ich werde zum Problem erklärt.
Strukturelle Gewalt ist so wirksam, weil sie keinen klaren Täter hat. Sie heißt „Verordnung“, „Gremium“, „Sachlage“. Und genau deshalb prägt sie sich so tief ein.
6. Repression durch Legalismus – der autoritäre Staat liebt Verfahren
Moderne autoritäre Systeme kommen selten brutal daher. Sie kommen korrekt.
Mit Formularen, Regeln, Auflagen, Kontosperrungen, Ausschlüssen – alles formal legal.
So bleibt das System rechtsstaatlich, aber es verliert seine freiheitliche Substanz. Einschüchterung funktioniert auch ohne Knüppel.
7. Propaganda – nicht als Lüge, sondern als Dauerrahmung
Propaganda ist selten grobe Fälschung.
Sie ist Wiederholung. Vereinfachung. Moralische Eindeutigkeit.
Sie erzeugt kein Wissen, sondern Gewissheit. Und wer abweicht, wirkt nicht falsch – sondern verdächtig.
8. Zensur und Überwachung – der Käfig im Kopf
Man muss nicht alles verbieten.
Es reicht, wenn Menschen lernen, sich selbst zu zensieren – aus Angst, aus sozialem Druck, aus beruflichem Risiko.
Freiheit wird so zur genehmigten Ausnahme.
9. Krieg ist Frieden – wenn Begriffe kippen
Zwang wird Fürsorge.
Eskalation wird Moralpflicht.
Repression wird Schutz.
Wenn Begriffe sich umdrehen, dreht sich auch das Gewissen. Widerstand wirkt plötzlich unanständig, Zweifel gefährlich.
10. Täter-Opfer-Umkehr – Macht fühlt sich bedroht
Je größer die Macht, desto stärker das Bedürfnis, sich als Opfer zu inszenieren.
Kritik wird Angriff. Protest wird Radikalisierung. Der Staat verteidigt sich – gegen seine Bürger.
So wird Macht unangreifbar, weil sie sich permanent im Ausnahmezustand wähnt.
Warum es nicht um die AfD geht
An dieser Stelle wird oft reflexhaft auf die AfD gezeigt.
Und ja: Sie ist laut, sie ist opportunistisch, sie ist eine Partei – und damit kein Gegenentwurf, sondern Teil desselben Systems.
Aber genau das ist der Punkt:
Faschismus ist kein Oppositionsphänomen. Er ist ein Machtphänomen.
Parteien sind keine Rettung. Sie sind Machtapparate. Und Machtapparate folgen ihrer eigenen Logik – unabhängig von Farbe oder Rhetorik.
Wer glaubt, man könne autoritäre Tendenzen durch „die richtige Partei“ besiegen, hat das Problem nicht verstanden.
Der AfD ist nicht zu trauen.
Aber ebenso wenig allen anderen.
Unsere Haltung: Politik ernst nehmen – Politiker nicht
Hochkultur ist nicht parteilich.
Aber wir sind politisch – zutiefst sogar.
Wir denken gern über Macht, Ordnung, Freiheit, Verantwortung und Gemeinwohl nach.
Wir streiten gern über Gesellschaft.
Und wir haben Spaß an politischen Ideen.
Was wir ablehnen, ist nicht Politik als Denken – sondern Politik als Beruf, Machtapparat und Ersatzreligion.
Wir sind nicht politikgläubig.
Denn moderne Politik behauptet, sie könne:
Leben regeln
Risiken beseitigen
Moral organisieren
Verantwortung delegieren
Und genau dort beginnt das Problem.
Warum wir heutigen Politikern misstrauen
Faschismus wächst nicht dort, wo Menschen politisch sind.
Er wächst dort, wo Menschen glauben, ihr Leben müsse durch Politiker gerettet werden.
Wo:
Verantwortung nach oben abgegeben wird
Entscheidungen anonymisiert werden
Macht sich selbst legitimiert
Alternativen als Gefahr gelten
Freiheit entsteht nicht durch bessere Gesetze.
Sie entsteht dort, wo Menschen unabhängiger werden.
Nicht gegen Politik – sondern jenseits von ihr.
Was das für Hochkultur konkret bedeutet
Unsere Haltung ist deshalb bewusst machtkritisch, nicht apolitisch.
Wir setzen auf:
Dezentralität statt Machtkonzentration
Eigenverantwortung statt moralischer Bevormundung
Parallelstrukturen statt Bittstellerei
Exit-Optionen statt Loyalitätszwang
Nicht weil wir uns entziehen wollen, sondern weil Macht dort schrumpft, wo Menschen Alternativen haben.
Unser Grundsatz
Nicht der Kampf um politische Macht verhindert Faschismus.
Nicht die „richtige Partei“.
Nicht der „bessere Politiker“.
Sondern der Entzug der Bedeutung von Politik für das eigene Leben.
Oder anders gesagt:
Märkte statt Mandate.
Gemeinschaft statt Ideologie.
Freiwilligkeit statt Zwang.
Das ist keine Flucht.
Das ist Prävention.
Der entscheidende Gedanke zum Schluss
Die Frage ist nicht, ob „wieder Nazis kommen“.
Die Frage ist: Wie viele autoritäre Mechanismen akzeptieren wir, solange sie im Namen des Guten auftreten?
Denn genau so beginnt es.
Nicht mit Stiefeln.
Sondern mit Gewissheit.


